29. April 2010

Ohne Reserve geht es nicht

VON ULRICH HEYDEN, MOSKAU

Russland ist nach dem Abschluss des neuen Start-Vertrags zu weiteren Abrüstungsdiskussionen bereit. Die Global-Zero-Idee sei nicht „absolut illusorisch“, erklärte der russische Präsident Dimitri Medwedjew jüngst in seiner Rede in der Washingtoner Brookings Institution. Um eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen, sei aber eine kollektive Entscheidung sämtlicher Länder notwendig.

Der russische Generalstabschef Nikolai Makarow will daran arbeiten, dass sich alle Länder, welche Atomwaffen haben, dem in Prag unterschriebenen neuen Start-Vertrag „anschließen“. Die „absolute Null“ bei strategischen Nuklearwaffen, von der der US-Präsident spreche, sei erst in langfristiger Perspektive möglich. Trotz des Abkommens zur Reduzierung der strategischen Waffenarsenale steht es mit dem Vertrauen zwischen Moskau und Washington aber immer noch nicht zum Besten. Beide Staaten halten an ihren Plänen zur Modernisierung von Atomwaffen fest. Russland droht außerdem mit dem Ausstieg aus dem neuen Abkommen, falls die amerikanische Raketenabwehr in Europa die strategischen Nuklearwaffen Russlands „blockiert“.

Russland befürwortet die Global- Zero-Initiative nur halbherzig. Denn solange Moskau Washington bei den nichtnuklearen strategischen Präzisionswaffen technologisch haushoch unterlegen ist, gibt es aus russischer Sicht – trotz anderslautender öffentlicher Bekundungen – wenig Anreiz, das eigene Atomwaffenarsenal auf null zurückzufahren. Wie kann man auf eine Stärkung der Nichtverbreitung von Atomwaffen setzen, „wenn diese in den Augen vieler Länder das einzige Allheilmittel gegen das Riesenarsenal hochtechnologischer, kluger Waffen in den Händen der USA und der Nato sind?“, fragt der Chefredakteur der Zeitschrift „Internationales Leben“, Armen Oganesjan.

Dass das Misstrauen Moskaus gegenüber Washington immer noch hoch ist, zeigt auch die Anfang Februar veröffentlichte neue russische Militärdoktrin, wonach die Nato-Ausdehnung bis an die Grenzen Russlands als „Gefahr“ gesehen wird. Als weitere Gefahren werden aufgezählt: die US-Raketenabwehr, die Militarisierung des Weltraums, Territorialansprüche und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands und seiner Verbündeten. Laut Juri Balujewski, dem stellvertretenden Sekretär des russischen Sicherheitsrats, gibt es vonseiten Japans, Lettlands und Estlands Territorialansprüche gegen Russland.

Im Unterschied zu der bisher gültigen Doktrin wurden die Aussagen zum Erstschlag leicht abgeschwächt. Russland droht damit jetzt nur noch, „wenn die gesamte Existenz des Staates bedroht ist“. Wie bisher reklamiert es auch das Recht für sich, Atomwaffen „als Antwort“ auf den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln gegen die Russische Föderation oder einen ihrer Verbündeten einzusetzen.

Die Vereinigten Staaten müssten den Bekundungen für eine atomwaffenfreie Welt jetzt Taten folgen lassen, fordert Viktor Jesin, Chef der russischen Raketenstreitkräfte. Deshalb müsse Washington jetzt den ersten Schritt machen und die in Europa stationierten taktischen Atomwaffen abziehen.

"Rheinischer Merkur"

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