18. August 2011

Als Hammer und Sichel verschwanden

UdSSR. Vor 20 Jahren versuchten Kommunisten mit einem Putsch die Sowjetunion zu retten. Der Versuch scheiterte kläglich.

ulrich heyden moskau (SN). Michail Gorbatschow und seine Frau Raissa standen in ihrer Datscha auf der Krim bereits einen Tag unter Hausarrest, als am Morgen des 19. August 1991 das sowjetische Radio und Fernsehen die Verhängung des Ausnahmezustands bekannt gab. Die Amtsvollmachten übernehme Vizepräsident Gennadi Janajew, ein Funktionär der staatlichen Gewerkschaften, hieß es. Es war der Schicksalstag der Sowjetunion.

Auf der einen Seite standen Boris Jelzin, der erst im Juni vereidigte Präsident der Republik Russland, und Michail Gorbatschow, seit 1988 Staats- und Parteichef der UdSSR, seit 1990 erster nach freien Wahlen amtierender Sowjetpräsident. Sie hatten unterschiedliche Ziele. Jelzin wollte radikale Marktreformen, Gorbatschow vor allem die Sowjetunion erhalten, allerdings in reformierter Form.

Die reaktionären Kräfte in der Kommunistischen Partei (KPdSU) um KGB-Chef Wladimir Krutschkow wollten vor allem die von Gorbatschow für den 20. August angesetzte Unterzeichnung eines neuen Unionsvertrags verhindern. Denn dieser Vertrag bedeute – so die Putschisten – letztlich die Auflösung der UdSSR. Zunächst versuchten sie Gorbatschow auf seiner Datscha zu überreden, selbst den Ausnahmezustand auszurufen. Als Gorbatschow sich weigerte, wurden die Telefone abgeschaltet. 73 Stunden mussten Gorbatschow und seine Frau in Isolation verbringen.

In Moskau sah es zunächst so aus, als ob es zum Blutvergießen kommen würde. Am 19. August rückten 4000 Soldaten und 362 Panzer ein. Doch gleichzeitig sammelten sich vor dem Weißen Haus, dem Amtssitz Jelzins und des russischen Parlaments, Zehntausende Demonstranten. Die Menschen bauten Barrikaden gegen die Panzer. In einem kurzen Gespräch mit einem Panzerkommandeur stellt Jelzin klar, dass er nicht weichen wolle. Dann klettert er auf einen der Schützenpanzer und hält seine berühmte Rede, in der er das Volk zum Widerstand gegen die Putschisten aufruft. Der Auftritt wird vom Fernsehen übertragen. Erste Armee-Einheiten laufen zu Jelzin über. Rasch zeigte sich, das die Putschisten keinen Rückhalt haben. Am 21. August ziehen die Truppen aus Moskau ab. Der Staatsstreich ist gescheitert, die Putschisten werden verhaftet, bis auf einen. Innenminister Boris Pugo jagte sich eine Kugel in den Kopf. Seine Kameraden wurden später ohne Gerichtsprozess freigelassen. Boris Jelzin wurde zum starken Mann in Moskau. Er verbot die KPdSU, deren Generalsekretär Gorbatschow noch war. Der Zerfall der Sowjetunion gewann an Tempo. Im Dezember trat Gorbatschow zurück.

Die UdSSR – die kommunistische Union der Sowjetrepubliken – existierte nicht mehr. Über dem Kreml wehte die russische Fahne. Öffentliche Debatten über die Geschehnisse gibt es bis heute nicht. Der Zerfall der Sowjetunion sei die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ gewesen, erklärte Jelzins Nachfolger als russischer Präsident, Wladimir Putin, im April 2005. Tatsächlich hat Putin einiges getan, um die ehemaligen Sowjetrepubliken wieder fester an Russland zu binden. Erst vor wenigen Wochen trat eine Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Weißrussland in Kraft. Seit 2002 existiert ein Verteidigungsbündnis von sechs ehemaligen Sowjetrepubliken, das allerdings ein bürokratisches Gebilde blieb. Heute, da die Städte Russlands voller Supermärkte sind, aber russische Waren immer mehr aus den Regalen verschwinden, gibt es Nostalgiegefühle. Man erinnert sich gerne an frühere Leistungen, wie den Flug des ersten Kosmonauten Juri Gagarin. Sowjetische Getränke wie die „Baikal-Limonade“ sind wieder im Verkauf und „Kult“. In vielen Städten gibt es Restaurants im Sowjetstil, wo man sich an Zeiten erinnern kann, als Flüge auf die Krim ein paar Rubel kosteten und sich niemand um seinen Arbeitsplatz sorgen musste.

Laut Umfrage halten 39 Prozent der Russen die Ereignisse um den Putsch als „tragisch“ für Russland. Nur zehn Prozent meinen, der Putsch sei von einer demokratischen Revolution besiegt worden. Diese Meinung wird vor allem von Personen in führenden Positionen, Unternehmern und Menschen mit mittlerem und höherem Einkommen vertreten. 57 Prozent der Befragten meinen, der Putsch sei zusammengebrochen, weil Armee und KGB gespalten waren.

veröffentlicht in: Salzburger Nachrichten

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